Am 18. Sept. 2018 jährte sich zum vierten Mal der Todestag Franz Horichs, dem wohl bedeutendsten Pionier und Erschlie-ßer des Grazer Berglandes. Ich durfte ihn im Spätherbst 1980 kennenlernen, während eines Abstieges aus dem oberen Brunntal. Oft und gerne erinnere ich mich an diese erste Be-gegnung mit einer der wohl eindrucksvollsten Persönlichkei-ten der steirischen Bergsteigerszene.
Während ich mit meinem Seilpartner Fredi durch die Süd-wand des 5. Turmes kletterte, sahen wir den ganzen Tag keine Menschenseele. Wir hatten das Gefühl, die einzigen Bergstei-ger im ganzen Tal zu sein. Dieses Gefühl, der Einzige dort zu sein, hatte wohl auch Franz Horich als er, bei Anbruch der Dämmerung, einem Felsblock zu Leibe rückte, der wie ein Damoklesschwert in der Wand hing.
Rrrrruuuuums! Der gefrierschrankgroße Felsblock bohrte sich unmittelbar neben dem Brunntalsteig in den weichen Waldboden. Fredi und ich waren bereits bei den ersten polternden Geräuschen, die sich alsbald in ein pfeifendes Dröhnen verwandelten, unter einen umgestürzten Wurzkörper geflüchtet. Nun schauten wir uns entgeistert an. Wenn wir nur ein oder zwei Minuten früher dran gewesen wären! Nicht auszudenken was pas-sieren hätte können.
„Stell dir vor des Trumm fliegt uns auf den Kopf“, sagte Fredi, der als erster seine Fas-sung wiedererlangt hatte. Ich wollte es mir gar nicht vorstellen, sondern war nur froh, dass wir beim Abstieg getrödelt hatten. Woher war der Block eigentlich gekommen?
Wir wagten uns aus unserer Deckung hervor und suchten den Fels oberhalb der Ein-schlagstelle ab. Bald wurde Fredi fündig. „Da“, zeigte er mit dem Finger auf eine Stelle, etwa 50 m über dem Boden. Jetzt sah auch ich die im Seil hängende Gestalt. „Ich wette“, meinte Fredi, „das ist der Horich Franz.“
Er formte die Hände zu einem Trichter vor seinem Mund und rief: „Fraunz!“
Stille. Nochmals „Fraunz!“
Jetzt kam eine Anwort „Jo? Wos is?“
„Wos mochstn do obn?“
„I putz a Tour“, kam es zurück.
Fredi bat Franz, er möge kurz seine Putztätigkeiten unterbrechen, damit wir vorbei-gehen könnten, ohne was auf den Kopf zu bekommen.
„I hör eh schon auf“, rief Franz herunter. „Es wird eh schon finster.“ Und er begann sich abzuseilen.
Kurze Zeit später stand er vor uns. Ich kannte Franz bisher nur vom Hörensagen und als wir uns die Hände schüttelten, war mir klar, dass keine der Geschichten die ich bisher über ihn gehört hatte, übertrieben sein würde.
Franz hatte eine wollene Sturmhaube auf. Dazu Schibrillen. An seinem Klettergurt bau-melten ein zu einem Grabgerät umgebauter Eispickel und ein selbstgebautes Brech-eisen. „Der Bursche hot sich jo ordentlich gwehrt“, schilderte Franz, während er den bis zur Hälfte im Waldboden steckenden Felsen begutachtete. „Den hob i schon länger am Plan ghobt. Der hot oba müssn.“ Er warf noch einen prüfenden Blick auf sein Werk. Dann sagte er nachdenklich zu uns: „Stellts euch vor, des Trumm fliegt wen aufn Kopf.“
Für den wichtigsten Kletterpionier des Grazer Berglandes wurde am 23. Sept. 2018 im Bärenschütztal feierlich eine Gedenktafel enthüllt. Hanns Schell, ein enger Freund und Wegbegleiter Franz Horichs, sprach dazu die folgenden Worte:
„Liebe Erdrun, liebe Freunde und Kameraden von Franz Horich!
Herzlichen Dank, dass ihr so zahlreich zur Gedenktafelenthüllung gekommen seid! Ob-wohl es sicher Berufenere als mich gibt, freue ich mich, dass ich über Franz und seine bergsteigerischen Taten im Grazer Bergland sprechen darf. Mit Franz verband mich eine jahrzehntelange Freundschaft und Seelenverwandtschaft. Wir wurden beide 1938 im Abstand von drei Tagen geboren. Bevor ich auf das Wirken des Franz näher eingehe, erlaubt mir einen kleinen, alpingeschichtlichen Rückblick.
Vermutlich die erste Kletterei, die im Grazer Bergland durchgeführt wurde, war 1894 der Fontanesteig durch die leichtesten Wandpartien der Röthelsteinwestflanke. Von einem Wahlonkel, der mit mir als Vierzehnjährigen auch meine erste Kletterei unternahm, habe ich das alte Wandbuch dieses Kletteranstieges aus den Dreißigerjahren geschenkt bekommen. Schon 1902 wurde der heute noch immer beliebte Ratengrat-Normalweg erklettert. Zwischen den beiden Weltkriegen etablierte sich in Graz und anderen steiri-schen Städten eine hochklassige Kletterelite, die vor allem im vorderen Teil des Raten-grates zahlreiche Erstbegehungen durchführte. Klingende Namen wie Raimund Schin-ko, Fritz Sikorovsky, Karl Schreiner, die Brüder Rupilius und viele andere kletterten in dieser Zeit schon den 6. Schwierigkeitsgrad.
Ich erinnere mich, wie mir mein Vater erzählte, dass sie mit dem normalen Fahrrad von Graz in der Früh wegfuhren, am Ratengrat kletterten und am Abend wieder nach Graz zurück radelten. Einmal hat mein Vater auch meine Mutter über die Ratengrat-Kante mitgenommen. Diese war natürlich für meine Mutter zu schwer und hat damals fast eine Beziehungskrise ausgelöst.
Bald nach dem 2. Weltkrieg trat dann eine neue Elite in Erscheinung. Der im 90. Lebens-jahr stehende, in Alaska lebende Sepp Weber, mit dem ich vor Kurzem mit meiner Frau eine Woche die dalmatinischen Inseln mit dem Rad abgefahren bin und der heute eigentlich auch kommen wollte, erkletterte zum Beispiel mit Bertl Hausegger 1953 den Schuppenriss oder 1958 mit Bruno Kraker die Rannerwand erstmals. Auch Ottl Krajnc, Kurt Laurencic und viele andere holten sich am Ratengrat die Kraft für große Unterneh-mungen.
Noch vor 10 Jahren hat Franz mit Sepp Weber einige schöne, klassische Klettereien im Grazer Bergland begangen. Kugelstein, Rote Wand, Breite Wand, die Totschlagwände und viele andere Felswände wurden erstaunlicher Weise aber von den Kletterern ge-mieden. Die allgemeine Meinung war, diese Felsen seien entweder als Kletterfelsen nicht geeignet oder einfach zu brüchig. Das wollte unser Technik-Student Franz Horich aber einfach nicht glauben und begann mit großer Beharrlichkeit, diese Wände zu erschließen.
Im Laufe der Jahre gelangen Franz und seinen Partnern wunderschöne, ja manchmal traumhafte Klettereien. Neben sehr schwierigen Routen wurden in mühevoller Arbeit auch sehr schöne Kletterführen im 4. Schwierigkeitsgrad erschlossen. Andere, exzel-lente Kletterer traten ebenfalls in Erscheinung und so entstand ein großartiges Kletter-gebiet, das auch Kletterer aus anderen Bundesländern, sowie aus Slowenien, Tsche-chien und der Slowakei anzog.
Der große Vorteil des Grazer Berglandes ist die Nähe zu Graz, einfache Abstiege und dank der unermüdlichen Bemühungen von Franz auch toll abgesicherte Routen und Standplätze. Franz schmiedete eigene Haken, richtige „Schwerter“, verwendete Alu-Draht für dauerhafte Sicherungsschlingen, betonierte sogar bei sehr schlechten Siche-rungsbedingungen Elektrorohre ein, durch die man dann jeweils als Sichernder eine Reepschnur durchfädeln konnte. Bei einer Kletterei mit Franz musste man auch große Geduld beweisen, konnte er durch keine Seillänge klettern, ohne einen losen Stein zu entfernen oder einen Grashalm auszuzupfen.
In den letzten Jahren war Franz oft sehr betroffen, wurden seine „Spezialhaken“ und sonstigen Sicherungen oft durch unnötige Bohrhaken ersetzt oder Sicherungen so angebracht, dass sie schlecht erreichbar waren. Die hochaktiven Klettertätigkeiten blieben von der Jägerschaft nicht unbeachtet und ein richtiges Kesseltreiben gegen Franz begann. Das Tollste waren Geschichten, dass er meterbreite Wege zu den Ein-stiegen anlege, ganze Rodungen durchführe und die Vegetation zerstöre. Ulkig auch die Story, dass Kletterer in der Roten Wand das Steinwild so erschrecken, dass es in Panik über die Hochfläche flüchte und auf der Nordseite zu Tode stürze! Wer sich schon einmal aus einer Route abseilen musste, weil ein Steinbock mit gesenktem Haupt die Kletterroute blockierte, kann genau das Gegenteil berichten.
Seit der „Hauptakteur“ der Vertreibungskampagne nicht mehr lebt, ist es freundschaft-lich und ruhig geworden. Beide Parteien können nun ungestört ihrem Hobby nachge-hen, ohne dass das Wild oder die schöne Landschaft Schaden erleidet. Hier sei aus-drücklich herzlich dem derzeitigen Management der Forstverwaltung und in letzter Konsequenz auch dem Besitzer im Namen aller Bergsteiger und Kletterer gedankt!
Leider wurde es nicht erlaubt, an der vorgesehenen Stelle die Gedenktafel anzubringen. Hubert Grassauer war so großzügig und liebenswürdig, uns einen geeigneten Platz zur Verfügung zu stellen, wofür ihm herzlichst gedankt sei. Hubert lädt auch alle, die zu dieser Gedenktafelenthüllung gekommen sind, anschließend in sein Gasthaus zu Speis und Trank ein. Dich, liebe Erdrun, die du seit Jahrzehnten Partnerin von Franz warst, darf ich nun bitten, die Gedenktafel zu enthüllen.“
Fotos: Michael Gattol & Foto: Martina Pall
Horst Jobstraibitzer auf: https://climbing.plus/blog/einladung-zur-gedenktafelenthuellung-von-franz-horich