In Memoriam Helma Schimke
Lutz Maurer in der Matinée des Salzburger Bergfilmfestivals am 24.11.2018
Über die Alpinistin Helma Schimke werden Sie in dem berührenden Film, den Annette Mäser & Ulrike Gschwandtner 2001 mit der damals 75-jährigen Helma drehten, viel erfahren, auch im Gespräch von Annette mit Thomas Neuhold. Dieser Film bildete im Wesentlichen auch den alpinen Teil meiner „Land der Berge-Dokumen-tation „Die Macht des Schicksals – Portrait einer unbeugsamen Frau“, den ich mit Helma zu ihrem 90. Ge-burtstag 2016 drehte. Mein eigener Teil befasste sich mit der außergewöhnlichen Per-sönlichkeit Helmas, auch mit ihrem Beruf als freischaffen-de Architektin.
Außergewöhnliche Frauen, die die Herausforderung der Berge wagten, gab es immer schon, zu allen Zeiten des Alpinismus. Ich kann aus der Vielzahl nur einige wenige nennen: die Französin Henriette d´Angeville, die ohne alpine Erfahrung 1838 – allerdings mit männlicher Hilfe – den Gipfel des Mont Blanc erreichte, dort von ihren Begleitern auf die Schultern gehoben wurde und den Ehrentitel „ Mont Blanc-Braut“ erhielt.
Die US-Amerikanerin Fanny Bullock-Workmann, Schriftstellerin, auch Vorkämpferin für die Rechte der Frauen, fuhr mit ihrem Mann, einem Arzt, über 20.000 km mit dem Rad bis ins ferne Asien, erstieg dort mit ihrem Mann und dem Bergführer Matthias Zurbriggen einen 6.900 m hohen Berg im Himalaya. Höher schaffte es vor ihr und lange nach ihr keine Frau.
Die Innsbruckerin Cenzi Sild-Ficker wurde 1906 als Uschba-Mädel bekannt. Weil sie in einer, vom großen deutschen Alpinisten und Forschungsreisenden Willi Rickmer-Rickmers geführten, Expedition im Kaukasus den 4.700 m hohen Uschba, der damals als einer der schwierigsten Berge der Welt galt, anging. Den Gipfel schaffte sie allerdings nicht, weil sie beim Aufstieg zwei Männer bergen und abseilen musste. Immerhin bekam sie von einem örtlichen Stammesfürsten den Berg formell mit Urkunde geschenkt.
Drei Jahrzehnte nach Workman stand Normans Mutter, Hetty Dyhrenfurth, oftmalige Salzburger Tennismeisterin und Begleiterin ihres Mannes, des großen Alpinisten und Geologen Günther Oskar Dyhrenfurth – „Himalaya-Papst“ war sein Ehenname – ebendort auf einem 7.300 m-Gipfel. Und Gerlinde Kaltenbrunner zu erwähnen, hieße „ Eulen nach Athen“ zu tragen.
Viele dieser Frauen waren den Männern ebenbürtig. Sie haben nur aus ihrer Passion nicht viel Aufhebens gemacht, es war eine stille, aber deshalb umso größere Liebe und Leidenschaft.
Helma Schimke als Alpinistin und Persönlichkeit
Ich komme zurück zu Helma. Sie saß als junge Frau einst im Wartesaal des Salzburger Bahnhofs mit Cenzi Sild zusammen. Ich traf Helma das erste Mal vor vielen Jahren bei einem Bergsteiger-Frauentreffen, das Felicitas von Reznicek, die erste deutschsprachige Alpinjournalistin (Tochter des Komponisten Emil Nikolaus von Reznicek) organisiert hatte. Vor 60 Jahren schon hatte Reznicek geschrieben: „Als Gesamtpersönlichkeit ist Helma Schimke die bedeutendste Vertreterin Österreichs!“ Gesamtpersönlichkeit – die kürzeste und treffendste Beschreibung von Helma!
Man sagt, dass die im Zeichen des Wassermann Geborenen – Helma kam am 16. Feber 1926 zur Welt – von Neugierde, unzähmbaren Freiheitsdrang und Unabhängigkeits-bestreben geprägt sind. Das alles traf auf auch auf Helma zu. Ich erinnere mich noch an das Bild – es war auch das Anfangsbild meiner Dokumentation – als Helma am Buchberg, einem bewaldeten Hügel im Norden Salzburgs stand – für sie ein Leben lang ein Kraftplatz, an den sie auch im Alter immer wieder zurückkehrte – und mit strahlende Augen hinüber zu den hohen Bergen im Süden der Stadt blickte und erzählte, wie sie diese Gipfel schon als kleines Mädchen an der Hand ihrer Großmutter fasziniert hatten: „Für mich war die Welt dort zu Ende. Ich wollte aber wissen, was noch hinter dieser Welt lag.“
Dieser Freiheitsdrang, dieser Wille zur Unabhängkeit und zum Durchsetzen ihres Willens mag für ihre Umwelt nicht immer leicht zu ertragen gewesen sein. Wenn ihre Kinder – Tochter Christa Schimke erzählte es – in den Ferien ans Meer wollten, der Mutter aber in die Berge folgen mussten. Einmal schafften es die Kinder. Es blieb aber nur bei einem Tag in Venedig, dem Kauf einiger Murano-Gläser; dann ging‘s zurück an den Gardasee und dort wiederum in die Berge.
Die Architektin Schimke
Diese Eigenschaften haben es Helma wohl auch in ihrem Beruf nicht immer leicht gemacht. Auch dort wählte sie – die Schülerin von Clemens Holzmeister – laut ihren Erzählungen nicht immer den bequemen Weg, riss sich nicht um öffentliche Aufträge. Bezeichnender Weise war ihr allererster Auftrag ein Einfamilienhaus. Und auch ihr letzter, den sie als hohe 80-erin begann und knapp vor ihrem 90. Geburtstag vollendete, war ein Einfamilienhaus. Die Besitzer, Eltern zweier behinderter Kinder, baten Helma, es behindertengerecht umzubauen. Später einmal sollte es überhaupt ein Zentrum für solche Kinder werden. (Es freut mich, dass dieses bewundernswerte Ehepaar heute auch an dieser Matinee teilnimmt!). Ich erlebte, mit welchem Stolz Helma das Kamerateam durch das Haus führte, erlebte die tiefe Verbindung mit dem Elternpaar.
Und ich habe Helma auch in ihrem Haus in der Zillertalgasse erlebt, wo wir leider viel zu selten, dann aber stundenlang an ihrem schweren Tisch zusammensaßen, nur wenig über die Berge, viel mehr über Gott und die Welt sprachen, über Musik und vor allem Bücher! Helma besaß ja eine große Bibliothek. Ich erinnere mich noch an ein langes Gespräch mit ihr über Herbert Tichy, einen der großen stillen Bergsteiger, dem wir aber viele großartiger Bücher verdanken. Helma verstand, was Tichy einmal geschrieben hatte, dass Erlebnisse und Abenteuer am Berg nicht in Kältegraden, Höhenmetern und Biwaknächten (und ich erlaube mir hinzuzufügen: in unseligen, von Sponsoren finanzierten Rekordmarken!) messbar seien; das wären alles Nebensächlichkeiten, die man bald vergessen könne. Das Wort „ Abenteuer“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Ankunft. Damit umgrenze es seinen ganzen Inhalt: nach einem richtig bestandenen Abenteuer sei man angekommen – bei sich selbst! (Zitatende)
Die Schriftstellerin Schimke
Und dieses „Ankommen bei sich selbst“ wird Helma wohl auch die Stärke gegeben haben, den frühen Tod ihres Mannes Konrad in der Watzmann-Ostwand zu verkraften, das Leben als Witwe mit drei kleinen Kindern zu bestehen, noch dazu als freischaffende Architektin, und vor den ersten Weihnachten nach dem Tod Konrads den winterlichen Untersberg zu besteigen. Aus ihrem Buch „Über allem der Berg“: „Hier aber, auf dem Berg, auf dieser Glücksinsel meiner Jugend, erfuhr ich von einer Welt über der Welt, hier bekam ich den Begriff von höherer Freiheit und tieferer Freude. Hier habe ich das große Gesetz auf meine Art zu verstehen gelernt, das Gesetz von Notwendigkeit und Zufall, Willkür und Vernunft, Wille und Glaube. Wie dankbar bin ich dafür, jetzt am Beginn eines neuen Lebensabschnittes!“ Und wenig später: „Als ich das erste Mal nach jener Katastrophe in der Watzmann-Ostwand wieder kletterte, war es eine wertvolle Befreiung!
Es freut mich, dass an eine Neuauflage eines ihrer Bücher – ich glaube es ist „Über allem der Berg“ gedacht ist. Denn Helma war eine großartige Schriftstellerin. Ihre beiden Bücher „Auf steilen Wegen“ und „Über allem der Berg“ bestechen einerseits durch klare und unprätentiöse, von Understatement, aber auch Humor geprägte Schilderung ihrer alpinen Taten. Andererseits durch poetisch Natur- und – wie ich sie eben las – Seelenbilder. Bücher, die an Menschen erinnern, das gedruckte Wort also, mit Bildern dazu, auch bewegte Bilder, also der Film, sie sind oft langlebiger als Denkmäler, die man bedeutenden Menschen setzt. Denn sie helfen, die Erinnerung an diese Menschen zu bewahren. Wie es auch der Film von Annette Mäser und der in den Bergen gestorbenen Ulrike Gschwandtner tut.
Noch einmal Helma Schimke: „Die Berge waren für mich eine Art Paradies, in das ich mich zurückziehen konnte.“ Ein Paradies, das sie aber immer wieder verlassen musste, um ins harte alltägliche Leben zurückzukehren. Es gibt aber ein Paradies, in dem der Mensch für immer bewahrt bleibt: die Erinnerung!
Dem deutschen Dichter Jean Paul verdanken wir den tröstenden Spruch „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können!“ In diesem Sinn wollen wir uns heute an Helma Schimke erinnern!
Ing. Arch. Helma Schimke * 16. Feb. 1926 – † 7. April 2018;
ÖAK-Mitglied seit 1953, Ehrenmitglied des Österr. Alpenklubs und des ÖAV
„Der Berg steht über allem, nicht so als ob er das Allerhöchste wäre. So vieles gibt es, das über ihm steht, stehen muss. Aber der Berg überdacht unser Tal-Leben, unsere Freuden und Nöte, er formt Gefühl und Bewusstsein; vor allem jedoch zwingt er uns, sich den Gesetzen der natürlichen Ordnung widerspruchs-los zu fügen“, Helma Schimke, die Grande Dame des österreichischen Alpinismus aus Salzburg. „Ich bin in Seekirchen aufgewachsen und mit fünf Jahren durchgebrannt, weil ich ein Gipferl gesehen hab‘ und wissen wollte, wie es ausschaut. Damit habe ich eine Riesensuchaktion ausgelöst. Mit 12 Jahren bin ich dann über den Dopplersteig auf den Untersberg und dabei rettungslos entflammt. Ich habe ja nicht gewusst, dass ich damit aus der Rolle falle. “ Ich will Bergsteigerin werden! schrieb Helma in ihr Tagebuch: Dieser Wunsch war damals für ein Mädchen genauso unge-wöhnlich wie der Besuch der HTL. Statt mit Puppen zu spielen, nützte Helma ihr prak-tisches Talent und bastelte schon als Kind lieber Baumhäuser. „Meine Mutter hätte lieber aus mir eine Schneiderin oder irgendetwas Brauchbares gemacht. Mich hat die HTL sehr gefreut, aber wir mussten auch am Bau praktizieren. Da wurde man als Mädchen be-lächelt und manchmal auch traktiert. Das war halt so. Beleidigend war aber, wenn jemand gesagt hat, gscheiter du gehst heim und nimmst an Kochlöffel.“
Helma studierte Architektur in Wien – unter anderem bei Clemens Holzmeister. Sie tauschte den selbstgenähten Wintermantel der Mutter gegen ein Kletterseil und nahm an einem Kletterkurs der Akademischen Sektion Wien teil. Der Untersberg wurde ihr ,Lebensberg‘, an dem sie später in der Dopplerwand auch den 6. Schwierigkeitsgrad schaffte – mit den damaligen Sicherungsmöglichkeiten! „Ich war eine Freche und boxte mich durch. Während der Wienzeit habe ich selbständig meine erste Tour auf den Groß-glockner unternommen. Ich habe auch sehr viele Bergbücher gelesen und die berühmtes-ten Touren auswendig gekannt.“ In Salzburg begann Helma als freischaffende Architek-tin zu arbeiten und entwickelte sich zu einer kühnen, für die 1950er und 60er Jahre extremen Alpinistin. „Es gab damals keine weiblichen Bergsteigerinnen“, meinte Helma, die mit Hermann Buhl, Marcus Schmuck, Fritz Wintersteller (alle drei zusammen mit Kurt Diemberger 1957 Erstbesteiger des Achttausenders Broad Peak ), Ernst Reiss (Lhotse-Erstbesteiger) … kletterte. In der harten Zeit nach dem Krieg bis in die 1960er Jahre wurde weibliche Bergbegeisterung wurde schärfstens abgelehnt. „Ich bin auch mit dem Motorroller in die Westalpen gefahren. Mit dem Zug hat das ja zwei Tage oder noch länger gedauert.“ In Helmas Tourenbüchern sind viele der damals schwierigsten Touren vermerkt wie z.B. Brenva-Flanke (ohne Eishaken!) und Peuterey-Grat (Montblanc), Monte Rosa-Ostwand, Palla-vicini-Rinne (Großglockner), Maukspitze-Westwand und Fleischbank-SO-Verschneidung (Kaisergebirge), Cassin-Route in der Westl. Zinne-Nordwand … Oft übernahm sie die Führung am scharfen Ende des Seils.
Helmas Mann Konrad war ebenso bergbegeistert, doch er starb 1961 in der Watzmann-Ostwand in einer Lawine. Selbst nach diesem Unglück hörte Helma nicht mit dem Bergsteigen auf. Sie war überzeugt, ihre Entscheidung sei die einzig richtige gewesen, um diesen Schicksalsschlag zu meistern. „Die Berge sind immer mein Rettungsanker gewesen.“ Mit eisernem Willen schaffte es die damals 35jährige Witwe, ihre drei kleinen Kinder allein zu versorgen.
„Die hohen Berge der Welt abzuschreiben, war ein ganz harter Kampf. Nach Nepal gekommen bin ich erst mit 77 und jeden Tag 8 bis 11 Stunden gegangen.“ Mit 77 stieg Helma beim Klettern noch vor. „Aber ich schwindle manchmal und greif in einen Kara-biner und freu mich, dass er da ist. Das Älterwerden hat auch seine Vorteile, weil man vieles intensiver erlebt.“ Helma kletterte bis weit jenseits ihres 80.Geburtstags . Ihre berufliche Laufbahn beendete sie erst knapp vor dem 90.Geburtstag. Helma Schimke gilt als Pionierin des Frauenbergsteigens und nimmt eine herausragende Rolle im Alpinismus ein.
Unbedingt lesenswert: „Auf steilen Wegen“ und „Über allem der Berg“ von Helma Schimke, in der Klubbibliothek auszuleihen!
Unbedingt sehenswert: https://www.youtube.com/watch?v=-ecr2UVakA8;
https://www.youtube.com/watch?v=ZZzps4t8YRY
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Norman G. Dyhrenfurth * 7. Mai 1918 – † 24. Sept. 2017,
Alpenklubmitglied seit 1969, Ehrenmitglied
Wir trauern um unser verstorbenes Mitglied und werden ihm stets ein ehrenvolles Gedenken bewahren. https://www.film-tv.at/archiv/trailer-2010/15117-zum-dritten-pol-film-trailer.html
„Ich möchte nicht gleich vergessen sein,“ sagte Norman des öfteren zu seinen Freunden. Die Veröffentlichung seines letzten Manuskriptes zum 100. Geburtstag verpasste er nur knapp.
In diesen bisher unveröffentlichten Texten des großen Himalaya-Bergsteigers, Doku-mentarfilmers und Expeditionsleiters kreist alles um den höchsten Gipfel der Erde. Der Mount Everest war sein Lebensberg, seit seiner Teilnahme an einer Schweizer Expedi-tion 1952, ein Jahr vor der Erstbesteigung. Die Leitung der erfolgreichen amerikani-schen Everest-Expedition 1963 wurde zum Höhepunkt seines Lebens. Er stand zwar nicht selbst auf dem Gipfel, sorgte aber als Expeditionsleiter für einen erfolgreichen Ablauf des Unternehmens, in dessen Verlauf erstmals die Überschreitung eines Acht-tausenders gelang, und erreichte, mit seiner schweren Kameraausrüstung filmend, eine Höhe von 8600 Metern. Diese an Poesie und Dramatik reichen Schilderungen vermitteln angesichts des aktuellen Everest-Business einen Blick in eine völlig andere Welt und wirken wie aus der Zeit gefallen (zum Vergleich: Im Jahr 2017 gelangten 648 Personen auf den höchsten Punkt!). Dyhrenfurth hatte einen tiefen inneren Zugang zu dieser Region und ihren Menschen: „Wann immer ich die „heilige Wiese“ von Tengpoche ver-lassen hatte, erfüllte mich ein starkes Gefühl, dort schon einmal, in einer früheren Exis-tenz, gelebt zu haben. Jedes Mal war ich tief bewegt und den Tränen nahe. Ich wusste, dass ich ein Stück meiner selbst zurückließ, und dass ich eines Tages – irgendwie – zurück-kehren müsste“. Dies wurde ihm zuteil: im Frühjahr 2018 wurde ein Teil der Asche des mit 99 Jahren verstorbenen Himalaya-Pionieres in einem Tschorten in Tengpoche bei-gesetzt, und ein weiterer über dem Khumbugletscher verstreut. a.m.
Sehenswert: https://www.youtube.com/watch?v=B5AGcC4BBMg; https://www.br.de/berge/sonstiges/norman-dyhrenfurth-bergfilmer-nachruf-rucksackradio-100.html