Die polnische Phalanx – Wo der Winter aus Bergsteigern Helden macht

Zusammenstellung und Übersetzung Gertrude Reinisch-Indrich mit Beiträgen von Stephanie Geiger, Stefan Nestler, Andrzej Zawada Memorial Foundation, Jan & Malgorzata Kielkowski, Alek Lwow,  Piotr Trybalski, Krzysztof Wielicki, Piotr Pustelnik …

Es waren Polen, die sich über Jahrzehnte im Winterbergsteigen einen Namen machten. 11 der 14 Berggiganten wurden von Polen erstmals im Winter bestiegen, einer von einem polnisch-italienischen Team. Das Rüstzeug für ihre von Erfolg gekrönten Bergabenteuer im Karakorum und im Himalaya holten sie sich in der Hohen Tatra. Dort sind die Bedingungen oft so garstig, dass Bergsteiger in idealer Weise auf ihre Abenteuer in Himalaya und Karakorum vorbereitet werden. Die Tatra, siebzig Kilometer von Ost nach West, zwanzig von Nord nach Süd, gilt als das kleinste Hochgebirge der Welt. Der höchste Berg der polnischen Tatra, der Rysy, ist gerade einmal 2503 Meter hoch und die Gerlachovský štít auf slowakischem Gebiet, nur 150 Meter höher. 90 Prozent der Tatra liegen auf slowakischem Staatsgebiet, der kleinere Teil gehört zu Polen. Und dennoch sind dort fordernder Granit und steiler Kalk so nah beieinander, dass die Tatra im Ruf steht, Bergsteiger zu den besten der Welt zu formen.
„Die Tatra ist für die polnischen Bergsteiger prägend“, erklärt Kinga Baranowska, das Aushängeschild der polnischen Bergsteigerinnen. „Ich komme ursprünglich aus der Gegend von Danzig, habe in Zakopane und der Tatra das Bergsteigen gelernt. Heute wohne ich in Warschau und natürlich in Zakopane», erzählt die 44-Jährige, die neun Achttausender bestiegen hat. Sie war die erste Polin, die es auf den Kangchendzönga (8586 Meter) schaffte, nachdem Wanda Rutkiewicz, die wohl bekannteste polnische Bergsteigerin, dort seit 1992 verschollen ist.
Die Legende um den Hausberg von Zakopane, dem 30.000-Seelen-Ort in der polnischen Westtatra, wird so erzählt: Der Giewont sei eigentlich gar kein Berg, sondern ein schlafender Ritter. Tatsächlich kann man, mit etwas Phantasie, im Fels die Umrisse eines auf dem Rücken liegenden Ritters erkennen, mit einem dicken Bauch, der sich zu einer beachtlichen Erhebung wölbt, den Wams mit Falten bis ins Tal, und einem dünnen Hals. Die am weitesten hervorstehende Erhebung, auf der das Gipfelkreuz steht, ist die Nase. Drohe Gefahr, dann werde dieser Ritter zum Leben erwachen, für das polnische Volk kämpfen und es verteidigen. Zwar hat Polen in seiner Geschichte schon viele schlechte Zeiten erlebt, der Ritter blieb jedoch liegen. „Wenn der Ritter schon nicht heruntersteigt, steigen wir Polen eben hinauf zu ihm“, erklärt Łukasz Mucha fast ein bisschen trotzig. Der junge Pole arbeitet zwar in Krakau, verbringt aber seine Wochenenden bergsteigend in der Tatra, wo auch immer mehr Menschen ihr Glück suchen – wie bei uns in den Alpen.

Zakopane, drei Millionen Touristen pro Jahr, im 19. Jahrhundert als Luftkurort für Tuberkulosekranke berühmt geworden, war zur Zeit des Eisernen Vorhangs für die polnischen Bergsteiger Mekka und Tor in die Welt. In der Tatra holten sie sich die Kondition und das technische Rüstzeug für Bergabenteuer im Karakorum und Himalaya. Das Wetter in der Tatra ist oft ungemütlich – und vor allem unberechenbar. Das erfahren auch wir (red. Stephanie Geiger und Karl Gabl) bei unserem Besuch in Zakopane: Auf den Rysy, den höchsten Gipfel Polens, will Łukasz Mucha mit uns steigen. Aber die Berge sind wolkenverhangen. Es nieselt stark. Nicht nur Łukasz rät angesichts des ausgesetzten Aufstiegs über den Nordwestpfeiler und den Gipfelgrat von
der Tour auf den Rysy ab, auch im Wanderführer von Václav Klumpar steht: „Nur bei stabilem Wetter und guten Geländebedingungen anzuraten. Bei Nässe, Vereisung, Schnee oder Gewitter lebensgefährlich!“ Beste Voraussetzungen also, um Tomasz Nodzyński, dem diensthabenden Meteorologen der Wetterstation auf dem 1987 Meter hohen Kasprowy Wierch einen Besuch abzustatten. Eine Seilbahn nimmt uns den Aufstieg ab. Nur fünf Minuten oberhalb der Bergstation steht unweit des Gipfels die Wetterstation. Tomasz Nodzyński erzählt uns in der mit Holz vertäfelten warmen Küche vom Wetter der Tatra. Es wechsle nicht nur schnell, sondern sei auch schwer einzuschätzen. Von Tal zu Tal könne es anders sein. Es komme vor, dass es auf den Gipfeln schneie, während in Zakopane die Leute in kurzen Hosen herumliefen. Auf dem Kasprowy Wierch würden pro Jahr 300 Tage mit Nebel registriert. Besonders fordernd sei der Winter in der Tatra. Minus 20, manchmal sogar minus 30 Grad Celsius, dazu komme so viel Wind, dass die Seilbahn nicht fahren könne und die Meteorologen zu Fuß aufsteigen müssten, um die diensthabenden Kollegen abzulösen. Außerdem gebe es so viel Schnee, dass sie sich den Weg ins Freie hin und wieder sogar freischaufeln müssten.

Das Bergsteiger-Festival in Zakopane besuchen wir am nächsten Tag. Bis auf den letzten Platz ist das große Zirkuszelt gefüllt. Zu spät Kommende stehen hinten oder sitzen in den Gängen. Sie wollen Adam Bielecki sehen, der in der Tatra seine ersten Touren unternahm. Er erzählt, wie er im Jänner 2018 eigentlich den K2 (8611 m) besteigen wollte und die polnische Expedition dann der Hilferuf vom Nanga Parbat (8125 m) erreichte. Mit dem Kasachen Denis Urubko eilte Bielecki der Französin Elisabeth Revol zu Hilfe. Der Pole Tomek Mackiewicz schaffte es nicht mehr vom Berg. Bielecki ist der Held dieses Abends und wird am nächsten Tag von Andrzej Bargiel abgelöst, dem die erste komplette Skibefahrung des K2 gelang.

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Foto 1988 Lhotse: Andrzej Zawada, Leszek Cichy, Krzysztof Wielicki © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

Polens Alpinisten sind legendär! Um ihre Expeditionen realisieren und vor allem finanzieren zu können, entwickelten die polnischen Bergsteiger eine phänomenale Kreativität und Geschäftstüchtigkeit, von der Staat und Alpinismus profitierten. Aus der grauen Tristesse der polnischen Industriegebiete und der, vom Krieg schwer gezeichneten und vom Kommunismus unterdrückten Gesellschaft reisten die Alpinisten in den 1970er- und 1980er-Jahren weltweit zu den höchsten Gipfeln, während die meisten Polen hinter dem Eisernen Vorhang festsaßen.

Als Königsdisziplin des Höhenbergsteigens gilt die Winterbesteigung von 8000ern. Krzysztof Wielicki und Leszek Cichy gelang 1980 die erste Winterbesteigung eines Achttausenders, des Mount Everest (8848 m). Wielicki schafft es wie Jerzy Kukuczka im Winter sogar dreimal auf einen Achttausender. Die unvorstellbare Leidensfähigkeit und Härte, die Besessenheit und der Glaube an die erwählten Ziele sind legendär für diese „Helden des Winters“, als die sie in Polen verehrt werden. Äußerst schwierige Routen über die härtesten Wände der Achttausender und ihre Gipfel im Winter gelangen ihnen als erste – immer an der Grenze des Menschenmöglichen, zwischen Leben und Tod.
Nach den 1980-er Jahren verlangsamte sich das Tempo der erfolgreichen polnischen Winterexpeditionen trotz zahlreicher Versuche etwas, da die Bedingungen im Karakorum noch härter sind als in Nepal und Tibet (niedrigere Temperaturen, stärkere Winde). Jerzy Kukuczka schaffte kurz nach Reinhold Messner alle 14 Achttausender – auf schwierigsten Routen oder im Winter. Nach ihm gelang das noch Krzysztof Wielicki und Piotr Pustelnik. Wanda Rutkiewicz wurde zur erfolgreichsten Höhenbergsteigerin. Voytek Kurtyka setzte neue Maßstäbe im Alpinstil.

Ausnahmsweise keine Polen … Der erste 8000er im Karakorum wurde erst im  Winter 2011 erreicht, der Gasherbrum II (vom intern. Team S. Moro, D. Urubko, R. Cory). Die erste Winterbesteigung des Nanga Parbat (8125 m) glückte am 26. Feb. 2016 dem Italiener Simone Moro, dem Basken Alex Txikon und dem Pakistaner Ali Sadpara. Für Ali Sadpara war es die dritte Besteigung des „Königs der Berge“. Die 29-jährige Südtirolerin Tamara Lunger kehrte etwa siebzig Meter unter dem Gipfel um. Erfolge von Frauen im Winter sind rar. Die Schweizerin Marianne Chapuisat erreichte am 10. Feb. 1993 den Gipfel des Cho Oyu (8201 m). Die Französin Elizabeth Revol stand laut eigenen Angaben am 25. Januar 2018 auf dem Gipfel des Nanga Parbat. Sie war mit dem Polen Tomasz Mackiewicz über die Diamir-Seite aufgestiegen. Mackiewicz schaffte es nicht vom Berg. Ein Gipfelfoto gibt es nicht, weshalb der Gipfelerfolg umstritten ist.

Auswahl der Winterbesteigungen: Extremste Winterbesteigungen über große Wände u. zu den höchsten Gipfeln entwickelten sich zur Spezialität polnischer Bergsteiger, u.a.:

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Foto Tadeusz-Piotrowski am Noshaq, Foto A. Zawada © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

1973 Noshaq (7492 m): Die erste polnische Winterexpedition führte auf den höchsten Gipfel Afghanistans im Hindukush. Die Idee dazu stammte vom Akademischen Alpine Club der Technischen Universität Warschau. Zur Mannschaft zählten: Mirosław Budny, Benon Czechowski, Ryszard Dmoch, Marek Fijałkowski, Wojciech Jedliński, Jan Koisar, Jacek Mierzejewski, Tadeusz Piotrowski, Władysław Leszek Woźniak und Andrzej Zawada (Expeditionsleiter). Am 13. Feb.1973 um 23:40 Uhr standen Piotrowski und Zawada auf dem Gipfel. Die beiden waren damit die ersten, die im Winter die 7000-Meter-Grenze überschritten hatten, und natürlich wollten die polnischen Bergsteiger nun noch höher hinauf.
1980 Mount Everest (8848 m): Doch die Erlaubnis für eine Mount Everest-Winterexpedition erhielten sie erst 1977 – für 1980. Im Team waren: Andrzej Zawada (Expeditionsleiter), Ryszard Dmoch, Bogdan Jankowski (Funker), Józef Bakalarski (Kameramann), Stanisław Jaworski (Kameramann, kam 1984 während der Manaslu-Winterbesteigung bei einem Lawinenabgang um), Robert Janik (Arzt), Leszek Cichy, Krzysztof Cielecki, Walenty Fiut, Ryszard Gajewski, Zygmunt Heinrich (starb 1989 bei einer Everest-Besteigung in einer Lawine), Jan Holnicki-Szulc, Aleksander Lwow, Janusz Mączka, Kazimierz Olech, Maciej Pawlikowski, Marian Piekutowski, Ryszard Szafirski, Krzysztof Wielicki, Krzysztof Żurek. Sherpas: Pemba Norbu, Ningma Tenzing, Pasang Norbu, Nawang Yenden, Indre, Bishow Nath Regmi (Verbindungsoffizier). Am 17. Feb. 1980 standen Leszek Cichy und Krzysztof Wielicki auf dem Gipfel. Damit wurde ein neues Kapitel in der Geschichte des Bergsteigens aufgeschlagen.
1984 Manaslu (8156 m): 12. Jan. Maciej Berbeka und Ryszard Gajewski; Expeditionsleiter: Lech Korniszewski.
1985 Dhaulagiri I (8167 m): 21. Jan. Andrzej Czok und Jerzy Kukuczka; Expeditionsleiter: Adam Bilczewski.
Cho Oyu (8201 m): 12. Feb. Maciej Berbeka und Maciej Pawlikowski über die neue Südostpfeilerroute; Drei Tage später: Zygmunt Heinrich und Jerzy Kukuczka; Leiter der polnisch-kanadischen Expedition: Andrzej Zawada.
1986 Kangchenjunga (8586 m): 11. Jan. Jerzy Kukuczka und Krzysztof Wielicki; Expeditionsleiter: Andrzej Machnik; (Andrzej Czok starb an einem Lungenödem).
1987 Annapurna I (8091 m): 3. Feb. Artur Hajzer und Jerzy Kukuczka (Exped.-Leiter).
1988 Lhotse (8511 m): 31. Dez. Krzysztof Wielicki im Alleingang; Leiter d. poln.-belg. Exped.: Andrzej Zawada (Jerzy Kukuczka stürzte 1989 in der Lhotse-Südwand zu Tode).
2005 Shisha Pangma (8027 m): 14. Jan. Piotr Morawski aus Polen und Simone Moro aus Italien; Leiter: Jan Szulc.
2009 Makalu (8485 m): 9. Feb. Simone Moro (Italien), Denis Urubko (Kasachstan); poln. Versuch 2001.
2011 Gasherbrum II (8034 m): 2. Feb. Simone Moro (Italien), Cory Richards (USA), Denis Urubko (Kasachstan).
2012 Gasherbrum I (8080 m): 9. März Adam Bielecki und Janusz Gołąb; Expeditionsleiter: Artur Hajzer; davor schon Versuche 2009, 2010 (Leiter: A. Hajzer, starb 2013 am Gasherbrum I).
2013 Broad Peak (8047 m): 5. März Adam Bielecki, Artur Małek, Maciej Berbeka & Tomasz Kowalski (beide beim Abstieg gestorben). Expeditionsleiter: Krzysztof Wielicki.
2016 Nanga Parbat (8125 m): 26. Feb. Simone Moro (Italien), Alex Txikon (Spanien), Ali Sadpara (Pakistan); polnische Versuche 1997 und 1998 (Leiter Andrzej Zawada); 2007 (Leiter K. Wielicki).

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Foto K2, Abruzzisporn: Maciej-Pawlikowski mit Pawel-Kubalski © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

K2 (8611 m): Es gab acht Versuche u.a. 1987/1988 erreichte eine polnisch-kanadische Expedition 7100 m über den Abbruzzi-Sporn; Leitung Andrzej Zawada.
2002/2003 stieg eine internationale Expedition bis 7600 m auf chinesischer Seite des Netia K2; Leitung K.Wielicki.
2011/2012 versuchte eine russ. Expedition die Basken-Route in Pakistan bis 7200 m.
2018 Leitung Krzysztof Wielicki: Zu Beginn eilten Denis Urubko und Adam Bielecki, zum Nanga Parbat, um sich an der Rettungsaktion der Französin Elisabeth Revol und ihres polnischen Partners Tomek Mackiewicz zu beteiligen. Nach ihrer Rückkehr zum K2 wurden Bielecki und Rafael Fronia, unabhängig voneinander, auf der Höhe von Lager I durch Steinschlag verletzt. Bielecki konnte die Expedition (mit genähter Nase) fortset-zen, Fronia musste in ein Krankenhaus geflogen werden. Urubko wurde wegen seines selbstsüchtigen Verhaltens (unabgesprochener Alleingang) von der Expeditionsleitung ausgeschlossen. Nachdem Janusz Golab und Bielecki feststellten, dass nach einem Orkan die Seilsicherungen am Abruzzi-Grat nicht mehr intakt und sämtliche Hochlager zerstört wären, verstärkten auch noch Schneefälle die Lawinengefahr am Berg erheb-lich. Weitere Versuche waren nicht zu verantworten.
2019 Der letzte 8000er blieb auch nach dem achten Versuch ohne Winterbesteigung.
2021 K2 (8611 Meter): 16. Jan. Nirmal Purja, Mingma David Sherpa, Mingma Tenzi Sherpa, Geljen Sherpa, Pem Chiri Sherpa, Dawa Temba Sherpa, Mingma Gyalje Sherpa, Dawa Tenjin Sherpa, Kilu Pemba Sherpa, Sona Sherpa (alle 10 aus Nepal) erreichten den Gipfel.

Literatur: Václav Klumpar „Hohe Tatra. Die schönsten Tal- u. Höhenwanderungen“, Rother-Wanderführer 2019.
Bernadette McDonald „Klettern für Freiheit“, AS Verlag 2013: Ein starkes Buch, das  die  Zusammenhänge hinter den Fakten aufzeigt, das von Abenteuern, Politik, Leidenschaft, Zähigkeit, von Leben und Tod und der Freiheit in den Bergen erzählt.
Bernadette McDonald, „Winter 8000. Climbing the World’s Highest Mountains in the Coldest Season“ soll im Herbst auch auf Deutsch herauskommen.
Jan Kielkowski „Mountaineering Monograph“ (Reihe alpin. Monographien, in English).
Małgorzata & Jan Kiełkowscy „Wielka Encyklopedia Góri Alpinizmu“, I, II u. VI in Poln.
Aleksander Lwow „Zwyciężyć znaczy przeżyć Ćwierć wieku później“ – „Gewinnen heißt überleben. Ein Vierteljahrhundert später“, (Polnisch) Taschenbuch 2018.

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Foto: K2 © Piotr Tomala, PMA-Polish Mountaineering Association archive.

K2 im Winter – Eine neue Dimension
1980 standen erstmals Menschen im Winter auf einem Achttausender und inzwischen auch auf allen anderen. Der letzte, der 8611 Meter hohe K2, gelang erst 2021 beim neunten Winterversuch. Davor war seit 1987/88 niemand über 7650 Meter hinaus-gekommen. In der Kaltluft nimmt der Luftdruck mit der Höhe stärker ab als in warmer Luft. Somit ist der Sauerstoffgehalt in gleicher Seehöhe im Winter niedriger als im Sommer. Auf dem K2 haben die Bergsteiger, die ohne Flaschensauerstoff unterwegs sind, im Winter weniger Sauerstoff zur Verfügung als im Vormonsun auf dem Mount Everest. „Grundsätzlich würde ich als Mediziner unbedingt allen Höhenbergsteigern Flaschensauerstoff empfehlen. Alles andere ist doch sehr gefährlich“, erklärt der Schweizer Gebirgsmediziner Urs Hefti.
Ein Sakrileg für Profibergsteiger wie Denis Urubko, dem zwei Wintererstbesteigungen gelungen sind. Für ihn bedeutet die Verwendung von Flaschensauerstoff Doping: „Wir wissen heute, wie wir trainieren müssen, haben mehr Erfahrung und genaue Wettervor-hersagen. Deshalb braucht man im modernen Alpinismus keinen Flaschensauerstoff.“ Mit Ausnahme des Mount Everest kam bei den Wintererstbesteigungen kein Flaschen-sauerstoff zum Einsatz. Unter Bergsteigern besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass eine Winterbesteigung nur dann als solche gewertet wird, wenn die Expedition nicht vor dem 21. Dez. zum Basislager aufbricht. Bisher war es ein nur kleiner Kreis von Berg-steigern, die sich eine derartige körperliche Belastung freiwillig antun.

Im Winter 2021 brachen gleich 4 Expeditionen mit rund 60 Teilnehmern zum K2 auf. Das sind etwa so viele Bergsteiger wie normalerweise im Sommer dort unterwegs sind. Sicherlich spielte auch die Corona-Pandemie eine Rolle, denn der Trekking- und Expeditionsbetrieb stand monatelang still. Das dürfte Seven Summit Treks dazu veranlasst haben, Arbeitsmöglichkeiten für ihre Sherpas zu schaffen. Die kommerzielle Expedition mit 24 zahlenden Kunden aus der ganzen Welt wurde von 21 Sherpas begleitet. „Eine große preisgünstige Expedition und das Vorhaben eines kleinen Sherpa-Teams um Mingma Gyalje Sherpa, der bereits im vergangenen Winter am K2 unterwegs war, dürften für Nirmal Purja der Anreiz gewesen sein, es auch zu versuchen“, vermutet die Autorin Bernadette McDonald. Nirmal Purja stand schon im Sommer 2019 auf dem K2 – als die meisten Expeditionen abreisten, weil ihnen der Aufstieg zu gefährlich erschien. Der 37-jährige ehemalige Elitesoldat der Gurkha-Verbände (diente zuletzt in einer maritimen Spezialeinheit der britischen Armee) bestieg 2019 in der Rekordzeit von weniger als sieben Monaten alle 14 Achttausender mit Sauerstoffmaske und der Unterstützung seines nepalesischen Teams. Dazu half er auch noch bei der Rettungs-aktion für einen Malaysier an der Annapurna. Am Kangchendzönga überließ er beim Abstieg zwei höhenkranken Indern seinen Flaschensauerstoff. – Aus Sicherheitsgrün-den, so erklärte er damals, sei er mit Sauerstoffmaske unterwegs gewesen. Seither inszeniert er sich gerne als Superstar mit nacktem Oberkörper vor den höchsten Bergen der Welt und überlegt in seinem Instagram-Post, ob er nicht als Model arbeiten sollte. Warum auch nicht (Red.)?

Das Wetter – eine besondere Herausforderung
Im Basislager herrschten Temperaturen um minus 20 Grad. „Der K2 ist der kälteste Achttausender. Im Durchschnitt sind die Temperaturen auf den pakistanischen 8000ern im Winter um 4 Grad tiefer als im Himalaya in Nepal“, erklärt der Innsbrucker Meteoro-loge Karl Gabl. „Der Jetstream verschiebt sich im Winter nach Süden und liegt dann direkt über Karakorum und Himalaya. Auf Gipfelniveau bedeutet das Windgeschwin-digkeiten um 250 Kilometer pro Stunde und verdammt Bergsteiger tage-, manchmal sogar wochenlang zum Nichtstun.“ Sturmböen können die Bergsteiger von den Hängen fegen. Schnee wird verfrachtet (Lawinen) und das Gelände mit sprödem Eis überzogen, das kaum Halt bietet.
2021: Bei minus 40 Grad auf dem K2-Gipfel und Wind mit 50 bis 60 Kilometern pro Stunde. „Das waren günstige Wetterverhältnisse“, meinte Karl Gabl dazu, der schon viele
Winterexpeditionen betreut hatte. In den nächsten Tagen könne die Windgeschwindig-keit im K2-Gipfelbereich bis auf 230 Kilometer pro Stunde steigen. Schon eine Woche davor hatten Höhenstürme Hochlager zerstört und Ausrüstung in alle Richtungen gefegt – auch den Gleitschirm, mit dem Nirmal Purja vom Gipfel starten wollte. Dass sich nepalesische Bergsteiger aus drei Expeditionen zusammenschließen würden, war nicht vornherein festgestanden. „Wir geben unser Bestes, um den letzten, im Winter noch nicht bestiegenen Achttausender für Nepal zu besteigen“, betonte Mingma Gyalje Sherpa.
Am 16. Jan. 2021 warteten die Nepalesen wenige Meter unter dem Gipfel zusammen, um gemeinsam aufzusteigen und dort die Hymne ihres Landes zu singen. Um 16:58 Uhr standen Nirmal Purja, Mingma David Sherpa, Mingma Tenzi Sherpa, Geljen Sherpa, Pem Chiri Sherpa, Dawa Temba Sherpa, Mingma Gyalje Sherpa, Dawa Tenjin Sherpa, Kilu Pemba Sherpa und Sona Sherpa auf dem höchsten Punkt – bei minus 40 Grad.

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Das erfolgreiche K2-Sherpa-Team © Seven Summit Treks

„Ich gratuliere ihnen aufrichtig. Heute haben die Sherpas zu Recht einen wohlverdienten Platz in der Geschichte des Bergsteigens bekommen, nachdem sie jahrzehntelang Tausenden Bergsteigern bei deren Aufstiegen halfen“, kommentierte Simone Moro vom Manaslu (8163 m), wo er zur gleichen Zeit unterwegs war.
Ohne Flaschensauerstoff auf dem K2?
Von Mingma Gyalje Sherpa hieß es, er habe beim Aufstieg auf den K2 keinen Flaschen-sauerstoff benutzt. Doch Seven Summit Treks meldete aus dem K2-Basislager, alle zehn K2-Wintererstbesteiger hätten Flaschensauerstoff verwendet. Nirmal Purja verkündete dazu auf Social Media: „Auftrag erledigt. K2 im Winter ohne Zusatzsauer-stoff.“ – Und erklärte, auch wenn er sich nur bis auf 6600 Meter habe akklimatisieren können, sei er ohne Flaschensauerstoff bis zum Gipfel aufgestiegen. Eine unglaublich starke Leistung. Vielleicht wollen es manche deshalb nicht glauben. Laut Nirmal Purja hat er die Gruppe auf den Gipfel geführt. Das würde bedeuten, dass er ohne Flaschensauerstoff schneller war als die anderen, die mit Maske unterwegs waren. Dagegen berichten gleich mehrere Quellen, dass einer oder auch mehrere der Sherpas eine Stunde gewartet hätten, bis Nirmal Purja am Gipfel gewesen sei. Was wiederum dafür spräche, dass er tatsächlich ohne Zusatzsauerstoff unterwegs war, seinem Image als Führer der Gruppe allerdings entgegenlaufen würde. Ist er dann auch ohne abgestiegen? Mit Red Bull hat er nun jedenfalls einen finanzstarken Sponsor gefunden: „Nur ein Bergsteiger kann von sich behaupten, den vielleicht schwierigsten Berg der Erde im tiefsten Winter bezwungen zu haben“, heißt es dort, als sei Nirmal Purja ganz allein unterwegs gewesen.

Großartige Teamleistung
Am K2 mit seinen besonderen Herausforderungen brauchte es vermutlich eine größere Gruppe mit Flaschensauerstoff, die Expeditionen bisher hatten es ohne versucht. Die neun Nepalis, die mit Nirmal Purja auf dem Gipfel waren, verlegten Fixseile und richteten Lager ein. Sie machten diese Wintererstbesteigung mit ihrer außergewöhn-lichen Gemeinschaftsleistung überhaupt möglich.

Stephanie Geiger sprach mit Tamara Lunger: Kurz vor Weihnachten 2020 reiste auch die 34-jährige Südtiroler Spitzenbergsteigerin zum K2. Es war ihre 5. Winterexpedition. 2010 hatte sie den Gipfel des Lhotse (8516 Meter) und im Juli 2014 den des K2 erreicht.

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Tamara Lunger, Karl Gabl, Simone Moro © Stephanie Geiger

„Ich habe mich für die Nepalesen sehr gefreut. Das sind super Typen. Und bis auf den untersten Teil haben sie ja die Route mit Fixseilen gesichert. Ich wäre zu dieser Zeit noch nicht akklimatisiert gewesen.“
Hat jemand aus der Gruppe der Nepalesen die Besteigung ohne Flaschensauerstoff geschafft?
„Nachdem Nirmal Purja ins Basislager zurückgekehrt war, habe ich ihn noch am selben Abend gefragt, ob er Flaschensauerstoff verwendet habe. Er hat mir aber keine Antwort gegeben. Am nächsten Tag erklärte er dann, er sei ohne Sauerstoffmaske unterwegs gewesen. Ich weiß nicht, wieso er das nicht gleich gesagt hat. Ob es stimmt oder nicht, kann ich nicht sagen. Ich glaube, dass Nirmal Purja sicher zu einer Begehung ohne Flaschensauerstoff imstande ist. Er ist eine Maschine, extrem stark im Kopf. Wenn er etwas entscheidet, hat er das vorher genau durchdacht, und es wird genauso gemacht. Da geht er dann auch durch eine Wand.“
Vom Tod überschattet: Tamara sah Sergi Mingotes Absturz, war die Erste beim Verunglückten und bis zu seinem letzten Atemzug bei ihm. Der 49-jährige Katalane war Co-Leiter der 45 Teilnehmer zählenden kommerziellen K2-Winterexpedition und plante, alle 14 Achttausender innerhalb von 1000 Tagen ohne Flaschensauerstoff zu besteigen – elf davon hatte er bereits geschafft, darunter den K2. „Ich stand unter Schock. Erst nach zwei Tagen habe ich richtig weinen können und wusste nicht, ob die Expedition für mich weitergehen würde. Der Rumäne Alex Gavan, mit dem ich eigentlich an den K2 gefahren war, reiste dann ab. Und ich tat mich mit dem Chilenen Juan Pablo Mohr zusammen, der mit Sergi Mingote unterwegs gewesen war.“
Der Chilene stieg am 5. Februar mit dem Isländer John Snorri Sigurjónsson und Ali Sadpara aus Pakistan mindestens bis zum berüchtigten „Flaschenhals“ auf, seither sind alle drei verschollen. Auch der Bulgare Atanas Skatov kam ums Leben. Der Isländer war schon im vergangenen Winter am K2 unterwegs und Ali Sadpara, einer der erfahrensten pakistanischen Höhenbergsteiger (2016 Nanga Parbat-Wintererstbesteigung).
„Wer einen solchen Traum hat weiß, dass das passieren kann. Vielleicht wurde dieses Unternehmen am K2 mit zu viel Druck angegangen. Ich habe noch nie eine solche Expedition erlebt. Aber ich bin dankbar, dass ich mit diesen fünf feinen Menschen ihre letzten Wochen verbringen durfte.“
Weshalb hatten Sie sich dieser Gruppe eigentlich nicht angeschlossen?
Für mich stand fest: Wenn ich ohne Flaschensauerstoff unterwegs bin, brauche ich ein viertes Lager. Ich kann bei dieser Kälte nicht sechs oder sieben Stunden in der Dunkelheit gehen. Juan und ich hatten geplant, dass wir am 4. Feb. zum Lager IV in fast 8000 Metern Höhe aufsteigen. Mir ging es an diesem Tag aber mit dem Magen nicht gut und es war sehr, sehr kalt. Deshalb bin ich mit Juan nur bis zum Lager III, auf 7350 Metern, aufgestiegen. Er startete dann um Mitternacht Richtung Gipfel … Diese Expedition war zweifellos etwas Großes, wenn nicht das Größte, was ich bisher gemacht habe. Aber ich glaube, für mich wird es überhaupt keine Winterexpeditionen mehr geben. Die K2-Winterexpedition hat mir eine gewaltige Ohrfeige verpasst.“

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Foto A. Zawada im Cho Oyu Basislager 1985 © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

Mt. Everest 1980: Andrzej Zawada träumte davon, dass die Polen mit Achttausender-besteigungen im Winter die Geschichte des Himalaya-Bergsteigens dominieren würden. Aber die Verhandlungen mit den nepalesischen Behörden dauerten mehrere Jahre. Sie konnten nicht verstehen, dass jemand zu dieser Jahreszeit in den Himalaya möchte, wenn es bessere Zeiten dafür gibt. Als die Erlaubnis aus Nepal endlich eintraf, entschied Zawada: „Wir nehmen den Höchsten!“
Der Mangel an Fremdwährung machte es unmöglich, Vorräte in Geschäften im Westen zu kaufen. Alles mussten von Polen mitgebracht werden, aber selbst Lebensmittel und Konserven waren kaum zu bekommen. Die Ausrüstung des Teams war von westlichen Standards weit entfernt, alles wurde selbst angefertigt – aus dem Material, das im Polen zu bekommen war: Bekleidung, Schlafsäcke, Zelte, Pickel … Wielicki verwendete Schweißgläser als Gletscherbrillen: „Wenn man nicht über die nötigen Fähigkeiten und die Entschlossenheit verfügt, hilft selbst die beste Ausrüstung nicht. Es ist die Person, die über den Erfolg der Aktion entscheidet.
„Wir wussten nicht, wie der Winter im Himalaya sein würde. Ein eisiger Sturm blies uns entgegen und zerstörte unsere Lager“, erinnert sich der damals 30-jährige Krzysztof Wielicki. „Aber wir kämpften, hatten keine Angst vor Schwierigkeiten, weil uns das Klettern Spaß macht. Dies ist kein Kampf mit dem Berg, sondern mit dir selbst, mit deinen Schwächen. Es gab einige unter uns, die ein oder zwei Finger gegeben hätten, um im Winter den Mount Everest zu besteigen.“ Wielicki selbst fuhr damals mit kaum verheilten Erfrierungen nach Nepal.Everest 09_03a_pocztowka-z-uczestnikami_awers
Manaslu 1984:Ohne die Erfahrung vom Everest hätten wir den Manaslu nicht geschafft“, Ryszard Gajewski und Maciej Berbeka waren die Ersten auf dem Manaslu-Gipfel. Es war der zweite Winteraufstieg auf einen Achttausender. „Im Vergleich zu heute war unsere Ausrüstung immer noch Müll. Das Wichtigste waren aber die Erfahrung, die Psyche und die Entschlossenheit, die wir im Kampf um den höchsten Gipfel gesammelt hatten. Wir waren eine Bande von Kletterern und riskierten viel“, erzählt der Tatra-Bergretter und Bergführer Gajewski. „Es war der erste Winteraufstieg ohne zusätzlichen Sauerstoff und ohne die Hilfe von Sherpas, weil wir uns keine leisten konnten. Wir haben alle zusammengearbeitet und die schwierigsten Abschnitte gesichert, einschließlich einer 600 Meter hohen Felswand über dem Basislager. Unser Filmemacher, Staszek Jaworski, hängte sich in ein altes Fixseil, das von einer Lawine beschädigt war, und stürzte 120 Meter in den Tod. Es war ein schwieriger Moment für die Expedition, wir entschieden uns aber schließlich doch, den Aufstieg fortzusetzen. Die technischen Schwierigkeiten und der starke Wind, manchmal mehr als 90 km pro Stunde, waren das größte Problem. Andererseits lag wenig Schnee, die Gletscherspalten waren sichtbar. Das machte es einfacher, einen Weg zu finden. Die Kletterschwierigkeiten sowohl im unteren Felsteil als auch zwischen dem dritten und vierten Lager waren anspruchsvoller als am Everest. Die Geländeneigung betrug 45-60 Grad. Wegen des Sturmes wollte niemand in einem normalen Zelt schlafen, das praktisch keine Deckung gegen diese eisigen Explosionen bot. Alle wollten in das sogenannte RD2 mit doppelten Wänden, weil die Isolierung besser war. Wir befürchteten auch, am flachen, weitläufigen Vorgipfelplateau auf 7300-7750 Metern bei Schlechtwetter die Orientierung zu verlieren. Für erschöpfte Kletterer hätte es zur Todesfalle werden können, deshalb markierten wir die Route mit Stangen, die in Schnee und Eis getrieben wurden. Oberhalb bauten wir das vierte Lager auf. Glücklicherweise war die Sicht gut, aber es war kalt – minus 35 Grad im Zelt.“
Die Kommunikation zwischen den Lagern ließ zu wünschen übrig. Die Expedition hatte keine Klimki-Funkgeräte, wie beim Everest. „Dafür musste man eine Sondergenehmi-gung von einem Ministerium haben. Wir hatten nur zwei österreichische Geräte, die nur funktionierten, wenn es keine Hindernisse dazwischen gab. Um drei Uhr morgens stiegen wir los und erreichten den Gipfel um 10 Uhr. Ich war der erste, wartete ein bisschen auf Maciek und mir war kalt, was später meine Erfrierungen verursachte. Wir blieben 40 Minuten auf dem Gipfel, machten Fotos und gruben die Haken aus, die unsere koreanischen Vorgänger hinterlassen hatten – als Souvenir, aber auch weil es eine sehr gute Ausrüstung war, von der wir damals nur träumen konnten. Das bedeutete 30 Minuten anstrengendes Graben, aber es lohnte sich. Wir nahmen auch die koreanischen Flaggen mit hinunter“, erinnert sich Gajewski. Maciej Berbeka stürzte dann 2013 am Broad Peak in den Tod.

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Tadeusz Piotrowski beim Schnee schmelzen © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

Dhaulagiri 1985 (poln. „Biała Góra“-Weißer Berg): Andrzej Czok und Jerzy Kukuczka gelang der dritte Achttausender im Winter – mit Erfrierungen. Einer der Gründe war der späte Aufstieg um 15 Uhr zum Gipfel, der zweite die Schwierigkeiten im Gelände. Der Gipfelkamm des Dhaulagiri ist lang, die Orientierung schwierig. „Wir sind oben. Es weht. Es ist kalt. Andrzej ist eisbedeckt, sein Bart voller Eis, malerische Eiszapfen hängen unter seiner Nase. Ich denke, ich sehe genauso aus“, schrieb Kukuczka in seinem Buch „Meine vertikale Welt“.
Der Abstieg bei minus 40 Grad war dramatisch, ohne Essen und Trinken. Die Abenddämmerung zwang sie, auf 7800 m ohne Zelt zu biwakieren. „Nur eines ist wichtig, dass du irgendwie überlebst bis zum Morgengrauen. Manchmal geriet ich in eine Art Lethargie. Ich schüttelte sie ab und vertraute darauf, dass mindestens eine Stunde vergangen wäre, nicht nur wenige Minuten. In der blassen Morgendämmerung konnten wir erkennen, wo wir waren und stiegen weiter ab. Nach einer halben Stunde erreichten wir das Zelt und stellten den Kontakt mit der Basis her, wo alle sehr besorgt waren, weil sie die ganze Nacht kein Lebenszeichen von uns hatten. Unser Expeditionsleiter, Adam Bilczewski gestand mir später, dass er in dieser Nacht aus lauter Nervosität nach 17 Jahren wieder zu rauchen angefangen hatte.“
Es war auch unten noch sehr gefährlich. Aufgrund der schlechten Sicht verirrten sich die beiden, trennten sich und Kukuczka musste ein zweites Mal ohne Zelt biwakieren. „Mir blieb nichts anderes übrig. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der Boden unter meinen Füßen wegbricht, es konnte eine im Schnee versteckte Gletscherspalte sein. Aber hier gab es doch gar keine Risse. Wo war ich?“
Beide Kletterer blieben bald danach in den höchsten Bergen – Chok starb 1986 an einem Lungenödem auf dem Kanchendzonga und Kukuczka 1989 beim Absturz von der Lhotse-Südwand (Fixseilriss).
Lhotse 1988: Krzysztof Wielicki nahm an der belgischpolnischen Everest-Lhotse-Expedition teil, mit Leszek Cichy und dem Expeditionsleiter Andrzej Zawada. Diese Winterbesteigung war nicht auf Anhieb erfolgreich, da die Belgier schon vor Weihnachten aufgaben (nur Ingrid Bayens blieb übrig). „Die Sherpas der Belgier wollten die Hochlager auflösen, weil sie dachten, dass dies das Ende der Expedition wäre. Sie fragten uns nicht. Es war ein Zufall, dass wir es herausfanden, als einer von uns nachts zum Pinkeln aus dem Zelt kroch und sah, dass die Sherpas mit riesigen Rucksäcken hochstiegen. Wir konnten sie nicht mehr einholen, aber als wir am Morgen das zweite Lager erreichten, gelang es zumindest, sie davon abzuhalten, die gesamte Ausrüstung mitzunehmen.“Wspinaczka-na-Lhotse1

Foto Über den Khumbu-Eisfall zum Lhotse © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

Die Wetterbedingungen waren Ende Dezember wirklich gut. „Dann wurden meine Freunde krank. Andrzej Zawada dachte nicht einmal mehr übers Klettern nach, aber ich wollte das schöne Wetter nützen. Andrzej war nicht glücklich darüber, wusste aber, dass er mich nicht aufhalten konnte.“ Auf dem vierten Achttausender im Winter stand Wielicki
allein. „Man muss Glück haben und Freunde“, fasste er die Ereignisse zusammen und macht kein Geheimnis daraus, dass er eine emotionale Haltung zum Lhotse hat, seit Jerzy Kukuczka dort gestorben ist. „Ich bin natürlich im Winter auf einer anderen Seite unterwegs gewesen. Aber es war einer meiner schwierigeren Anstiege, wegen meiner schmerzenden Wirbelsäule, obwohl ich ein spezielles Korsett trug. Beim Abstieg musste ich alle paar Schritte anhalten, um den brennenden Schmerz meiner, im Sommer verletzten Wirbelsäule zu lindern. Es war windig, aber kein Hurrikan. Ich war unterkühlt, aber ich kämpfte.“ Neben den Schmerzen spürte Wielicki auch eine geistige Verbundenheit zu jener Person, die kam, um ihn abzuholen. Es handelte sich um Leszek Cichy, mit dem er im Winter 1980 den Everest bestiegen hatte. Als Leszek beim Aufstieg bemerkte, wie sich ein Licht nach unten bewegte, beschloss er, im Lager auf Wielicki zu warten.
„Als ich vom Gipfel abstieg, sah ich irgendwann, dass ein Licht auf mich zukam. Das motivierte mich, meinen Kampf fortzusetzen. Schließlich kam ich zu dem Zelt, in dem Leszek Tee kochte und sagte: ,Was zitterst du so sehr? Es ist Silvester und ich bedauere, dass es nur Tee gibt.‘ Da erkannte ich, wie wichtig Freundschaft ist. Gleich nach meiner Rückkehr ins Lager III war ich nicht glücklich. Das passierte erst am Neujahrstag, als wir ins Basislager hinuntergingen. Ich begriff, dass ich solo im Winter am Gipfel war. Es hatte funktioniert. Fertig. Großartig.“ Krzysztof Wielicki ist bis heute der einzige Mensch, der den Lhotse im Winter alleine bestiegen hat.

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Lhotse-Team, Foto Miroslaw Wisniewski © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

Dies hier sind nur einige Zitate aus den Berichten über polnische Winterbesteigungen von Achttausenden. Es gäbe noch sehr viel mehr zu erzählen. Übersichtliche Grafiken, Berichte, Fotos und Filmsequenzen findet man auf der sehr schön gestalteten Website auch in Englisch: https://andrzejzawada.pl/en/;

Andrzej Maria Zawada (*1928-2000): Visionär, Bergführer, diplomatischer Expeditions-leiter … stammte aus der alten aristokratischen Familie des Grafen A. Malczewski, einem Dichter der Romantik, der seit seiner Erstbesteigung des Nordgipfels der Aiguille du Midi und der sechsten Besteigung des Montblanc 1818 oft als erster polnischer Alpinist bezeichnet wird. Zawada war also erblich vorbelastet. Gleich als er in den 1950er-Jahren mit dem Klettern begann, erreichte er die höchsten Ziele. Er liebte es, im Winter zu klettern. 1959 gelang es ihm verbotenerweise (red. der poln. Alpenverein hatte es nicht erlaubt), mit seinem Team erstmals im Winter, den 75 Kilometer langen Hauptkamm der Tatra in 19 Tagen zu überschreiten. Winterbegehungen der Bonatti-Routen auf dem Grand Pilier d’Angle des Mont Blanc 1965 und der Nordwand der Aiguille Blanche de Peutérey waren der Auftakt zu seinen Expeditionen.

Andrzej Zawada links am Noshaq 1973 und rechts am Grand Pilier d'Angle im Winter 1968 © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady
Andrzej Zawada am Noshaq 1973 © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

1971 leitete er erfolgreich die erste poln. Expedition nach dem Zweiten Weltkrieg auf den jungfräulichen Kunyang Chhish, 7852 m, im Karakorum. 1974 war er der Leiter einer Spätherbst-Expedition auf den Lhotse, die er bis Mitte Jänner 1975 ausdehnte. Die Verlängerung bis Ende Jänner lehnte das nepal. Außenministe-rium ab. Dabei wurden erstmals in der Geschichte des Winterbergsteigens 8250 Meter erreicht – ein Weltrekord von Zawada und Zyga Heinrich. Zawada war verwegen. Für die erste Winterexpedition weltweit wählte er 1980 gleich den allerhöchsten Achttausender. Das war äußerst kühn, doch seine Expedition schaffte es tatsächlich – die Polen standen als erste im Winter auf dem Mt. Everest. Bis zu seinem Tod war Andrzej Zawada auf den Berggiganten im Himalaya und Karakorum unterwegs. Er starb im August 2000, als er die nächste Winterexpedition auf den K2 plante.
„In den Bergen spürt man den direkten Kontakt mit Materie ganz stark,
mit dieser Masse von Materie in einem gigantischen Kosmos.
Es scheint, dass genug davon da ist,
um in den Himmel zu greifen und die Sterne mit den Händen zu berühren.
– Im ewigen Konflikt zwischen Geist und Materie,
in meinem Fall hat Materie gewonnen.“

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Andrzej Zawada am Grand Pilier d’Angle im Winter 1968 © Fundacja Himalaizmu Polskiego im. Andrzeja Zawady

Die Andrzej Zawada Memorial Foundation erinnert an diesen außergewöhnlichen Men-schen und seine Expeditionen. Zawadas beson-dere Begabungen waren seine vorausdenken-den Ideen und ihre Realisierung sowie sein mutiges, unermüdliches Bestreben, damals existierende Grenzen des Alpinismus zu erkun-den und zu überschreiten. Daraus entstand auch seine Vorliebe für das Winter-Bergsteigen auf den höchsten Bergen der Welt, die er erfolgreich umzusetzen verstand. Die polnischen Berg-steiger verfolgten Andrzej Zawadas Ziele auch nach seinem Tod und bestiegen als erste Nation elf der vierzehn Achttausender im Winter. Nachdem alles unmöglich Scheinende auch weiterhin eine angemessene Unterstützung er-fordert, möchte diese Zawada-Institution nicht nur die Erinnerung an außergewöhnliche Taten bewahren, sondern auch Initiativen unter-stützen, die einzigartige Disziplinen des Berg-steigens weiter verfolgen. Die Stiftung bringt außergewöhnliche Menschen zusammen, sowohl diejenigen, die das Privileg genossen, Andrzej zu persönlich zu kennen, als auch jene, denen seine Ideen nahe stehen.
Info auch in Englisch: https://andrzejzawada.pl/en/; FUNDACJA HIMALAIZMU POLSKIEGO_Obszar roboczy 1